Die Andersnamigkeit der Welt

In ihrem Essay FREMDSPRECHEN kommt Esther Kinsky auf die Andersnamigkeit der Welt zu sprechen. Zunächst trete uns die eigene Sprache deutlicher entgegen, beginnen wir mit der Unternehmung in sie, oder aus ihr heraus zu übersetzen. Viele unterschiedliche Merkmale kommen dabei ins Bewusstsein: “das Repertoire von Namen, Benennungen, Bezeichnungen, die in jedem Kopf eine durch Erinnerung, Erlebnis, Erfahrung andere und eigene Färbung haben und eingebettet sind in das vertraute Tempusraster zur Ordnun von Geschehen im Fluss der Zeit.” (Kinsky, 2013:43)

Wie komme ich zu einer Stimmigkeit zweiter Ordnung? Nähe ist oft nicht die Lösung.

“Die Grundvoraussetzung für jede Arbeit an Übersetzung”, schreibt Kinsky, “ist die Bereitschaft, sich auf eine Andersnamigkeit der Welt einzulassen und auf das damit verbundene, oft hoffnungslose Ringen um eine annähernde Kongruenz zwischen originalem und übersetztem Text. Diese Bereitschaft beruht nicht nur auf dem Interesse am anderen Klang und Namen, sondern auch an den Schattenrändern, Rissen und Klüften, die sich bei dem übersetzerischen Versuch auftun, zwei Sprachwerke zur Deckung zu bringen. Jeder Übersetzungsvorgang, der Text neben oder jenseits seiner bloßen Aussagefunktion als gestaltetes Material begreift, wird mit diesen Rändern, Rissen und Klüften mehr befasst sein als mit den Worten und Satzteilen, die sich einfach zu fügen scheinen, denn in den Deckungsungleichheiten, in den unvermeidlichen Divergenzen öffnet sich eine fruchtbare Welt der Infragestellung von Gegebenem, der Unterwanderung von Festgeschriebenem, der Eigenart von sprachlichem Leben.” (Kinsky, 2013:44)

Esther Kinsky spricht hier von einem fruchtbaren Bodensatz, von eher rauem Material. Ränder, Risse und Klüfte lassen sich an Gesteinsformationen denken.

Esther Kinsky: FREMDSPRECHEN. Berlin, 2013.

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