Claudia Simma: ROH ÜBERSETZEN. Über „Fertigungs“-prozesse bei der Übersetzungsarbeit. Ein Vortrag am 11.01.2023 im IFK Wien und via Zoom. Hier ist eine HALBTREUE MITSCHRIFT davon.
Zuhause, vor meinem Rechner, via Zoom, am 11.01.2023, die meisten Kacheln sind gelöscht. Bei den wenigsten brennt Licht. Es beginnt. Gerade erschien: „Die sexuelle Differenz lesen“ – von Hélène Cixous, Jacques Derrida. Hg. von Anna Babka und Matthias Schmidt. Aus dem Französischen von Claudia Simma, die der Publikation auch eine “Übersetzungsfuge” zugesellt hat.
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Simma sagt, eigentlich sei es nicht fertigzukriegen. „Ich kriege es nicht fertig.“ Der Text lässt sich nicht kriegen. Er will sich von der Übersetzung nicht fertig machen lassen. Im Widerstand sei das Textgebildet. Immer wieder lesen. Unübersetzbarkeit. Texte, die ihre eigene Geschichte nicht verwischen, nicht verdrängen.
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Schreiben, das heißt Übersetzen.
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Warum unünbersetzbare Texte übersetzen? Viele Antworten. Elemente ertasten. Die französische Sprache ist so lebendig, dass sie mir liebens- und lebenswichtig ist, sagt Claudia Simma. Bei der Übersetzung ins Deutsche, die besonderen Innenräume der deutschen Sprache ertasten, dabei ein so noch nie mögliches (nein, da hab ich mich verlesen), dabei ein so nah wie mögliches ungezähmtes Deutsch versuchen.
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Der Titel: Die sexuellen Differenz lesen. Lektüren der sexuellen Differenz. Lectures de la difference sexuelle. Das alles mehrfach lesen. Der doppelte Genitiv: Wer liest wen? Lesarten der sexuellen Differenz. Die Artenvielfalt des Lesens. The Art of Reading. Die Kunst des Lesens. Ein so ungewöhnlich zappeliger Titel: Lesarten der sexuellen Differenz. Aber ein guter. Wo ist das programmatisch Wendige des französischen Titels hin? Entschuldigung, das hab ich überlesen.
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Grammatische Vergleichbarkeit. Rohübersetzen – da, wo ein Text Widerstand leistet. Nicht ausbügeln, so lassen. Roh. Geglaubt. Crue. Cru. Die Vokabel, an die man glaubt, einer rohen, einer blutigen Sprache, einer Sprache toute crue, ganz roh. Dire la vérité toute crue. Toute cru, am liebsten vor Liebe verzehren, zum Fressen gerne.
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Das Sprachdenken, wie das Denken sich denkt, nicht in aller Schwere wie Rodins Denker (kopfüber im Garten), es springt und rennt und flitzt und es ist ständig in Bewegung. Die Zeichensprache. Alles streicht aneinander vorbei und alles spielt, umspielt einander. „Die Texte lieben, die ich übersetze“, sagt Claudia Simma. Oder: „Die Texte leben, die ich übersetze.“ Das wäre eine weitere Lesart. Bewegliche Gelenke. (Das, was ich gestern schnell notiert habe, heute nicht mehr lesen können.)
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Fußnoten. Ein schöner widersprüchlicher und so verzierter Saum. Fußnoten – sich einmischen. Besser nicht sich einmischen. Stand alone! Begleiten lassen. Die Kammer, in der alles noch einmal anders steht, betreten. Eine Lesart. Meine Lesart. Die sich ja sowieso nicht unterdrücken lässt, selbst in der Interpunktion. Die Aufmerksamkeit auf das lenken, was sich kriegen lässt. Der abgründige Gebrauch der Personalpronomen. Das Ereignis als Schrift – sich einander lesend nähern und entfernen. Wie Ameisen. Fourmis.
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„Das Unmögliche ist unser Paradigma.“ Es ist an mir, mich an sie zu wenden. C’est mon tour, donc. Ich bin an der Reihe. Am Spiel. La parole. Le mot. Elle. Wer? Jemandem das Wort überlassen. Hélène me laisse, comme on dit, la parole. Elle me laisse. Sie lässt mich. Sie erlaubt mir. Sie verlässt mich. Sie überlässt (es) mir.
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Schon die Kommasetzung ist ein Abenteuer. Ringen. Semantische, politsche, phallokratische und phallogozentrische Handlungsweisen. Und nicht damit fertig werden? Oh, ich kann das Schlusswort nicht mehr lesen. Es endet auf – igkeit. Ich kann meine eigene Schrift nicht – lesen. – igkeit. Verzeihung.
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Kraft des Roughen. Die Rohfassung als Widerstand sichtbar machen. Bedauern, leichte Melancholie, für das getilgte Unfertige, das in der Revision Verschwundene. Das in den Fußnoten Gerettete.
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Und was ist mit dem Unmöglichen? Allez-y. IL FAUT LE FAIRE.
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[Eine halbtreue Mitschrift des Vortrags ROH ÜBERSETZEN von Claudia Simma, am 11.1.2023 im IFK, Wien]