Wörtlichkeit und Hallraum

Halbtreue Mitschriften I

Auf dem Podium, von links nach rechts aus der Perspektive des Publikums: Marcel Beyer, Frieder von Ammon, Douglas Pompeu und Valentina die Rosa, LCB, am 27. August 2022, gegen 15:00 Uhr.

Wörtlichkeit und Hallraum. Das fröhliche Spiel mit sehr ernsten Themen. Ergebnisse des Übersetzerworkshops, Grundlage war Beyers Buch “Dämonenräumdienst”. Sehr ernste Scherze (Goethe). Immer wieder in andere Sprachen ausfransen. Bereits der Primärtext trägt Fransen. Krötigkeit, wie kommt das denn zustande? Es war offenbar zu wenig Kröte präsent in “toadie”: sich unterwürfig verhalten. Wo war die plastische Anschauung des englischsprachigen Ausdrucks? In Ermangelung jener Krötigkeit, tritt die gleichnamige Pferdekrankheit auf.

Merke: Plastizität, Anschaulichkeit, Hallraum.

Das Gedicht heißt: Fünf Rezepte gegen Krötigkeit. Ein anderes Gedicht: November. Das beginnt so: “Ich brauche morgens viel zu lange, / Bis ich mich fremdgeschrieben / habe. Wimmerlich bin ich / und wettervergesslich. Nachts // ging der Wind, ich lag und dachte / immerzu an meine Schuhe, / bedrängt und bang. (…)” – bis hierher.

Sich fremdschreiben: sei das nicht nahezu das Portrait einer Übersetzerfigur? Sich fremdschreiben, und, wie es am Endes des Gedichtes heißt: Vor Feierabend noch ein Gedicht zerstören.

Sprache als Medium und Material.

Wimmerlich – was ist das? Später im Gedicht: “Ein paar finstere // Manuskriptseiten weiter wimmert / das Holz, wimmert Gestein / die Haut verwimmert / wirft Blasen.” Auf der Reise nach einer Entsprechung dessen was mit “wimmerlich” gemeint ist, verlässt man die eigenen Sprache und kommt dann wieder zu ihr zurück. Hinein und hinaus. Zur Entschaffung, zur Verfassung, rückwärts in den kreativen Impuls hinein, aber auch wieder hinaus. Der Blick in die Parallelwelt (hier verlaufen leicht verblockte Korridore) – und andere Hallräume tun sich auf.

Zuweilen kommt es vor, dass einem als Übersetzerin auch die eigene Sprache nicht mehr wirklich nahe ist, man schaut die eigene Sprache von außen an. Die eigene Sprache von außen anschauen zu können, kann eine große Hilfe sein, wenn man sie auf eine andere (nicht mehr innerliche Weise) verwenden will.

Wimmerlich: das seien Vernarbungen im Holz. Oder ihr Klang. Kann das sein? Etwas mit Holz, sagten die Übersetzerler. Eine Stimmungsvolle Valenz. Es gibt Worte, die im Grimmschen Wörterbuch nur mit einer einzigen Verweisstelle erscheinen. “Knickwirten” gehört dazu, wenn ich richtig zugehört habe. Ich bin mir nicht sicher. Eigentlich: ein kaum übertragbares Lemma, dessen Bedeutung unbekannt ist.

Das Allsprachliche Wörterbuch des Alchemisten, von dem ich später bei Zwetschgenkuchen berichtete. Wie soll man jeweils etwas darin finden?

Crisspardissu. Wimmerlich auf portugieisch.

Dann trat Terézia Mora auf und lehrte uns, dass auch die Abwesenheit von Péter Esterházy Esterházy-förmig ist. Später: Die Brettersinnlichkeit eines vernagelten Schaufensters. Der intellektuelle All-Abend.

Mitgeschrieben von Monika Rinck